Natürlich ist das eine Geschichte! Und was für eine. Jeder Skandal impliziert eine echte Geschichte, mit allem was dazugehört: Vor allem eine Aufsehen erregende Grenzüberschreitung, Schurken, Bösewichter, tumbe Toren (auch die, die staunend und raunend vor dem Offenbarwerden der skandalösen Ereignisse stehen) und Opfer.

Natürlich ist dies keine Story, die von den Markenmanagern von VW und ihren Agenturen konzipiert worden ist – sondern eine, an der diese teilhaben und in die sie nolens volens verstrickt sind. Willkommen in der wahren Geschichte. Einer Geschichte, die – gerade wenn man das Verhältnis von Markenstory, realer Geschichte, kulturellen Diskursen und vielen anderen Aspekten beleuchten will – überreichlich Stoff für Erkenntnisse liefert.

Grund genug, mal etwas weiter auszuholen (und wie immer ist niemand gezwungen, das alles am Stück zu lesen oder überhaupt durchzuhalten).

"Clash of Storys: Bei VW-Gate kollidieren Marketingstorys und reale Geschichte" weiterlesen

Wenn man sich ein wenig intensiver umschaut, stellt man fest, dass es seit geraumer Zeit eine immer intensivere Auseinandersetzung gerade von Kognitionsforschern und Sozialpsychologen mit dem Phänomen „Erzählen“ gibt. Ein interessantes Beispiel ist Fritz Breithaupt, Professor an der Indiana University, der einiges zum Thema „Empathie“ veröffentlicht hat und wohl auf diesem Wege auch (zwangsläufgig möchte…„Storytelling im Paradies“ weiterlesen

Storytelling ist ein durch und durch paradoxes Phänomen. Wie Jérôme Bruner (der sich so intensiv und kreativ wie kaum ein anderer Psychologe mit dem Phänomen des Erzählens im Alltag auseinandergesetzt hat) so treffend feststellt, ist Storytelling etwas, das wir alle ständig tun – während gleichzeitig die allerwenigsten eine Vorstellung davon haben, was sie da eigentlich tun, wie sie es tun und wie die Geschichten „funktionieren“, mit denen sie so selbstverständlich umgehen.

Diese Asymmetrie zwischen Anwendung und Hintergrundwissen hat über Jahrtausende eigentlich niemanden gestört (außer ein paar Philosophen und Philologen) und vor allem niemanden daran gehindert, zu erzählen, Erzählungen hingebungsvoll zu lauschen und Geschichten zu genießen.

Das änderte sich schrittweise mit der Professionalisierung des Erzählens (angefangen bei den Angestellten der religiösen Institutionen mit ihren Hermeneutiken, im Zuge der Erfindung des Schriftstellerberufs im späten 18. Jahrhundert mit den Poetiken und schließlich durch die Filmindustrie mit der Genese des script writers als Lernberuf) bis in unsere Tage, wo „Storytelling“ in einem bisher unbekannten Ausmaß marktfähig geworden ist und jeder, in dessen Jobprofil „communication skills“ auftauchen (könnten) in die Verlegenheit geraten kann, seine Befähigung zum „Storyteller“ verargumentieren zu müssen.

Mit dem Storytelling-Trend erschallt auch der Ruf nach „Tools“

Wie immer in solchen Situationen wuchs und wächst da schnell der Ruf der Neophyten nach knackigen „Tools“, um die neuen Anforderungen ohne allzu großen Aufwand bedienen zu können. Entsprechende Angebote ließen da naturgemäß nicht lange auf sich warten und rasch schälten sich einige Favoriten an „Erzähl-Anleitungen“ heraus, die wohl nicht ganz zufällig vor allem inspiriert sind durch die – zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verkürzten – Einsichten von Drehbuch-Spezialisten aus dem Umfeld Hollywoods (und ich wiederhole mich da gerne: Vogler und McKee haben durchaus Interessantes und Nützliches zum Thema Storytelling zu sagen, sie beziehen sich aber teilweise sogar ausdrücklich auf bestimmte mediale Formen und Muster und eben nicht auf die Möglichkeiten des Erzählens insgesamt).

"Wider das Strickmuster-Storytelling!" weiterlesen

Mit dem Storytelling-Boom in Werbung und PR wächst nun auch langsam die Kritik an der derzeitigen Praxis. Dass vieles, was als „Storytelling“ daherkommt, wenig mit gekonntem Erzählen „echter“ Geschichten zu tun hat, wird nun zuweilen beklagt (und diese Klagen werden erst einmal zunehmen). Von der „Sprachlosigkeit der Storyteller“ schrieb Frank Behrendt kürzlich in einer Kolumne….„Die Zukunft des Storytellings – ein kurzer Ausblick“ weiterlesen

Vor kurzem machte mich Hans Hütt auf einen Blogbeitrag von Jakob Jochmann aufmerksam: Jochmann, der offenkundig ein tieferes Verständnis von Storytelling hat, macht als Kommunikationsberater in den USA die gleiche Erfahrung, die ich auch hierzulande immer wieder machen muss:

„Reading up on communication strategies there is no escaping the word storytelling. Storytelling seems to be a miracle cure for all purposes. I disagree. Storytelling is a powerful tool when applied judiciously, and it just so happens that it is all the more compelling when it is being genuine. But it does not work equally well in all contexts. More importantly, the word storytelling is often being thrown around even when there is an abject failure of telling a story. Dropping pop culture references to famous stories does not magically transform a list of things to do into a story.“

Dass die oben geschilderte Storytelling-Euphorie nun auch in unseren Gefilden alle möglichen Kommunikationsbereiche erfasst hat, habe ich ja in mehreren Beiträgen hier schon aufgezeigt. Es ist ja immer kein gutes Zeichen, wenn die Verkäufer von irgendwas – hier eben von „erfolgreicher Kommunikation“ (was leider in den meisten Fällen nichts anderes meint als Mind-Fucking-Propaganda; kurz MFP) – nach einer Wunderwaffe suchen oder behaupten, eine zu haben. Und Jochmann hat recht: allzu oft haben die selbsternannten Storytelling-Strategen dann noch nicht einmal das Wesentliche: nämlich eine Geschichte zu erzählen!

Storytelling und die Tool-Ritter

Die Umkehrung der Reihenfolge – „Wir machen Storytelling! – Haben aber noch gar keine Story (und das ist uns auch egal, dann nennen wir unsere beliebige Äußerung einfach so)!“ – ist symptomatisch für das Vorgehen aller Tool-Ritter. Wer einen Hammer hat, für den sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus. Aber man muss es natürlich so sehen: Wer eine Wunderwaffe sucht, der ist mit seinem Latein am Ende. In vielerlei Hinsichten ist die aktuelle Storytelling-Euphorie nichts anderes als das Symptom dafür, dass die Kommunikationsillusion von Marketingstrategen, Kommunikationsabteilungen, PR-Profis und was da noch alles im Persuationsbusinnes sein (Un)Wesen treibt kurz vor dem Zusammenbruch steht.

"Storytelling und die Pygmalion-Kommunikation" weiterlesen

Ein wirklich gelungener, geistreicher und gleichzeitig populär gewordener Fall von (filmisch-digitalem) Storytelling ist dieser Spot von Canal+. Und ein wunderbarer Beweis dafür, dass Reichweite nicht durch Plattheit erkauft werden muss. Den Plot und den „Gag“ versteht jeder; die erzählerischen Mittel sind aus narratologischer Sicht fein (und müssen den Zusehern als solche nicht bewusst sein, um ihre Wirkung zu entfalten) – und obendrein wird noch ein Zusatznutzen für Kenner geschaffen. Und das alles in knapp 40 Sekunden. (Zu finden auf You Tube unter dem Stichwort pub canal+ creation original).

Was ist aus Storytelling-Sicht hier geboten: Zunächst einmal ein actiongeladener Auftakt in James Bond Manier. Einstieg (aber nicht: Anfang der Geschichte) in medias res, und es geht gleich um‘s Ganze, das Leben steht auf dem Spiel. Nach ein paar Sekunden aber ist schon klar, das Ganze ist so ernst nicht gemeint, die Handlung steigert sich ins Absurde, Surreale. Die Spannung wird nun nicht mehr primär dadurch aufrechterhalten, dass man sich fragt, was auf der Ebene der Aktion und der Bedrohung als nächstes passiert, sondern dadurch, dass man wissen möchte: Worauf soll das hinauslaufen?

"Digital Storytelling am Beispiel eines Werbespots von Canal Plus" weiterlesen