Wann immer im Zusammenhang mit einem bestimmten Diskurs Personen zu „Päpsten“ ernannt und Werke zu „Bibeln“ ausgerufen werden, sollte man besonders wachsam werden. Das Problem dabei sind meist noch nicht einmal die derart beweihräucherten Personen und Werke selbst, sondern die Herde der Gläubigen, die sich hinter ihnen scharen: Leute, die sich nach Autorität sehnen, nach Teilhabe am „Richtigen“ und unwillig oder unfähig sind, selbst zu denken (oder einfach behaupten, sie hätten keine Zeit dazu).
Wenn es um Storytelling geht, haben sich die Schäfchen Robert McKee als Oberhirten ausgeguckt, der als „Drehbuch-Papst“ tituliert und dessen Buch mit dem ebenso schlichten wie genialen Titel „Story“ als „Screenwriters Bible“ bezeichnet wird.
Verfolgt man, was so alles zum Thema Storytelling geäußert wird, trifft man wiederholt und nahezu unvermeidlich auf Gedankengut (und Ideologeme) von McKee. Auch wenn der Name bzw. die Quelle nicht erwähnt wird – was ja immer mehr in Mode zu kommen scheint – schimmert in vielen Beiträgen immer mal wieder die mehr oder weniger gut verdaute „Story“-Lektüre durch, etwa in Sätzen wie: „Jede gut erzählte Geschichte – ob Mafia-Epos oder 30-Sekunden-Spot – kommuniziert EINE Botschaft.“ oder „Die besten Serien der Welt lassen sich in einen einzigen Satz komprimieren.“ (gefunden in einer Marketing-Kolumne).
Tja, da fragt man sich dann schon, warum sich die guten Autoren denn so viel Mühe machen und ganze Romane oder stapelweise Drehbücher verfassen, anstatt einfach ihren Satz abzulassen – und gut is‘.
Ein Lehrbuch für Drehbuch-Handwerker
Um das gleich klarzustellen: Das Problem ist nicht McKees Buch „Story“, sondern seine Rezeption respektive das, was offenbar in den Hirnen eines Teils seiner Leser vorgeht (oder auch: nicht vorgeht) und dann als Äußerung – unter Berufung auf den zum Papst erhobenen Meister – abgesondert wird. Offenbar ist das Buch für so manchen so etwas wie der Weizenbaumsche Hammer, für dessen Besitzer dann die ganze Welt wie ein Nagel ausschaut.
„Story“ selbst trägt den Untertitel: „Die Prinzipien des Drehbuchschreibens“ und ist ein durch und durch von der erfolgreichen Praxis von Hollywood-Autoren geprägter Leitfaden zur Erstellung markttauglicher Scripts; gut zu lesen, voller Tipps, die etwas taugen, mit manchen bedenkenswerten Ideen zum Thema filmisches (!) Erzählen – nicht weniger, aber auch nicht mehr. „Story“ ist, mit anderen Worten, ein Lehrbuch für Drehbuch-Handwerker, die solide, gut gemachte und gut verfilmbare Genre-Geschichten für ein in der zweiten Häfte des 20. Jahrhunderts sozialisiertes Kinopublikum machen wollen, für die sie von den Produzenten auch angemessen bezahlt werden. Genau das ist der Fokus des Buches: Und daher ziehen sich auch gusseiserne Maximen durch den Band, die McKee als universelle anthropologische, psychologische „Weisheiten“ deklariert. Kostprobe gefällig? „Die Menschheit ist wie die Natur grundsätzlich konservativ“. (Das wird ein Evolutionsbiologe wahrscheinlich ein wenig anders sehen.) Oder: „Die erste Person, die sagt: ,Ich liebe dich‘, hat verloren, weil die andere sofort … erkennt, dass sie diejenige ist, die geliebt wird und von nun an die Beziehung beherrscht.“ Auf den ersten Blick scheint das als Perpektive für jemanden, der an der erzählerischen Gestaltung von Konflikten interessiert ist (Keine Story ohne Konflikt!), ein hilfreicher Standpunkt; Luhmans Theorie der Macht, bei der die Macht immer eine geteilte und wechselseitige ist, würde dann aber noch viel hilfreicher sein bei der Konstruktion noch weitaus interessanterer Konflikte und Wendungen. Aber „Story“ ist durch und durch pragmatisch, huldigt einfachen Sichtweisen und simplen Wahrheiten und hat eine klare Vorstellung vom „Publikum“, von dem der Autor zu wissen glaubt, wie es tickt und was es will.
Es geht um „method writing“
„Story“ ist daher kein Buch über das Geschichtenerzählen im Allgemeinen. Ausdrücklich zieht McKee selbst auch immer wieder die Grenze zum Roman und zur Schriftstellerei und warnt davor, Erzählweisen, die dort möglich sind, auf das Verfassen von Scripts für Unterhaltungsfilme anzuwenden. „Story“ hat zwar eine implizite narratologische Theorie (an der stellenweise was dran ist), aber keine, die sich auf die vielfältigen Möglichkeiten des Erzählens allgemein erstreckt, sondern eben auf das Herstellen von Drehbüchern für massentaugliche, epische (!) Filme.
„Story“ ist vielmehr ein Buch für Handwerker, es stellt eine Methode vor und wirkt – gerade auch wegen seiner zünftigen Psychologeme, wie eine Gegenstück zum Method-Acting – Method-Screenwriting sozusagen. Diese handwerkliche Perspektive erklärt viele der „Regeln“, die McKee aufstellt: So spricht McKee davon, dass sich die „beherrschende Idee“ (in der englischen Fassung einsichtiger: „controlling (!) idea“) in einem Satz ausdrücken lassen müsse – und zwar für den Autor selbst, als permanente Hilfe, den weiteren Fortgang des Schreibens eben kontrollieren zu können. Und es ist, vorsichtig ausgedrückt, schlicht ein Missverständnis, wenn „Storytelling-Experten“ daraus so etwas machen wie „Die ganze Geschichte“ (oder ihre „Botschaft“) ließe sich „in einem Satz zusammenfassen“ und was dergleichen Mumpitz mehr kursiert.
Wie gesagt, das Buch ist – neben anderen – ein Muss für Drehbuchautoren. Filmfans werden es mit Gewinn lesen und nach der Lektüre die Häkelmuster von „Story“ in vielen Filmen von McKee-Schülern erkennen. Für alles andere gibt es anderes – und tauglicheres Material. Strickmuster für Werbespots, Politkampagnen oder PR-Geschichten lassen sich jedenfalls aus „Story“ nicht rauskopieren – so einfach macht es uns das Leben nun mal nicht: In der Beziehung gebe ich Robert McKee voll und gaz recht.
P.S. Wer „Adaption“ noch nicht gesehen hat, zu dem Charlie Kaufman das Drehbuch schrieb, kann dort Robert McKee (gespielt von Brian Cox) bei seinen Seminaren in Aktion erleben – und nebenbei eine smarte Auseinandersetzung mit den in „Story“ vertretenen Thesen erleben, die sich subtil durch den ganzen Film zieht.