„Sie haben aber lange nichts mehr geschrieben“, sagte neulich eine Dame am Telefon, die vor dem Gespräch mal schnell in diesen Blog reingeschaut habe.
Stimmt. Einerseits. Nämlich wenn es genau um diesen Kontext geht.
Stimmt nicht. Denn ein paar hundert Seiten sind in der Zwischenzeit entstanden: Allen voran mein neues Buch: Die größte Agentur der Welt. Anleitung zum Post-Fake-Marketing. Gerade bei Murmann erschienen. Außerdem Buchbeiträge zum Thema Mitarbeiterbefragungen und Storylytics, Innere Marke und Change-Prozesse, ein Essay zu Glanz und Elend der Stadtpolitik im Kursbuch… Da vergisst man schon mal zu bloggen.
Aber nun geht es wieder weiter. Unter anderem mit neuen Themen und Schwerpunkten. Denn ganz ehrlich: Zu Storytelling ist hier bereits viel gesagt. Wen das Thema weiter interessiert, dem empfehle ich, hier im Archiv zu stöbern, oder sich meine Bücher und Beiträge zum Thema anzuschauen. Ich habe ansonsten wenig Lust,mich zu wiederholen – und das müsste ich, angesichts des sich weiter im Kreise drehenden Storytelling-Geschwätzes von selbsternannten „Fachleuten“ und Möchtegerngurus aus Marketing und PR, das sich offenbar immer noch nicht totlaufen will. Mit Blumfeld möchte man diesen Typen zurufen: „Hört endlich auf, es ist vorbei“.
Storytelling: Am Anfang ging es um authentische Geschichten und die Menschen hinter den Geschichten
Als ich vor nunmehr 20 (!) Jahren mit meinen Kollegen Karolina Frenzel und Michael Müller den Begriff und das Thema als einer der ersten (und ganz wenigen) aufgriff, entwickelte und nolens volens mithalf populär zu machen, ging es um etwas anderes, als die wunderbare Fähigkeit des Menschen, sich und die Welt mithilfe von Geschichten zu verstehen und mittzuteilen dafür zu benutzen, um VR-Brillen, Unterhosen oder Nudelsalat zu verhökern. Zu Anfang (und mir heute immer noch) ging es erst einmal darum, Alltagsgeschichten von Menschen im Nahbereich ihres (Er-)Lebens (v.a. im Arbeitsumfeld) zu hören, zu sammeln und dann ernsthaft zu verstehen – mit der Absicht, Verbesserungs- und Kommunikationsprozesse so gestalten zu können, dass sie auch wirklich der Realität und dem Erleben der Menschen angemessen sein können. Unser Buch „Das Unternehmen im Kopf“ gibt die Erfahrungen mit dieser Art von „Storytelling“ wieder.
Im nächsten Schritt wurde „Storytelling“ hierzulande dann auch als Möglichkeit populär, um der interne Kommunikation neuen Schwung zu verpassen. Allen voran Steve Dennings Idee, mit kurzen, gut auf den Punkt gebrachten Erfahrungs- und Veränderungsgeschichten Change-Prozesse anzutreiben, fand zeitweilig viel Beachtung. Auch in dieser Phase ging es aber in erster Linie um die Kommunikation innerhalb der Organisation und es ging vor allem um die Nutzung authentischer Geschichten, die auf den realen Erfahrungen Beteiligter beruhten. Mit Storytelling als „Leadership“-Instrument war aber schon der Schritt gemacht, den persuasiven Apekt des Erzählens in den Vordergrund zu stellen. Dass Geschichten beeinflussen, emotionalisieren, überzeugen können, ließ die professionelle Kommunikatoren mit ihrem Sendungsbewusstsein aufhorchen.
Storytelling und Werbung: Schlaft weiter!
Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt zur „Entdeckung“ des Storytellings durch die Werbebranche, die damals bereits mit dem wachsenden Desinteresse der Konsumenten mit ihren Hervorbringungen zu kämpfen hatte und verzweifelt nach jedem Strohhalm zu greifen bereit war: Als Mittel der Beeinflussung von Konsumenten, das instruierend, gut zu merken, hoch emotionalisierend und Identifikation stiftend zugleich sein konnte, schien Storytelling zum Supertool der Reklame vorbestimmt. Damit war es mit der Aufmerksamkeit für authentische Alltagsgeschichten (bis auf das Schärflein derer, die sich mit qualitativer Forschung, Sozialpsychologie, Narratologie etc. ernsthaft beschäftigten wie Jérôme Bruner u.a.) auch schon wieder vorbei. In den Händen der Profiprediger aus PR und Werbung wurde das Erzählen auf den kleinsten Nenner eingedampft und auf die Norm einer „Heldenreise light“ reduziert, wie man sie heute in jedem zweiten Spot vorgesetz bekommt. Michael Esders hat mit dem Buch „Ware Geschichte“ diese Entwicklung eingehend analysiert und wurde hier bereits in einer eingehenden Rezension gewürdigt.
Eine Merkwürdigkeit dieser Entwicklung besteht darin, dass die Werber offenbar ganz vergessen zu haben schienen, dass das Erzählen von Geschichten immer schon zu ihrem Handwerkszeug gehört hat. Schon seit Jahrzehnten waren die erfolgreichen Werbefilmchen immer schon die, die ihre Botschaft in eine eingängige kleine Geschichte packten: Ob HB-Männchen oder Tilly-Sie-baden-Ihre-Hände-drin. Nur dass das damals eben nicht mit dem Begriff „Storytelling“ gelabelt war.
Hinter jeder Ecke lauert ein „Narrativ“
Mittlerweile hat der Storytelling-Hype dazu geführt, dass der Begriff semantisch so entwertet wird, dass er kaum noch für einen ernsthaften Diskurs zu gebrauchen ist. Noch der hanebüchenste Spruch von Politikern oder anderen „Leadern“ wird von irgendjemand in den Medien gleich zum „Narrativ“ aufgeblasen. Selbstredend impliziert ein Trump-Spruch wie „Make America great again“ einen rudimentären Plot. Aber anstatt das Ganze zum „Narrativ“ zu erklären, sollte besser darüber nachgedacht werden, inwiefern gerade die völlig Inhaltsleere einer solchen Äußerung, ihre Entkoppelung von jeglicher Faktizität und Figuration, gerade keine Geschichte ermöglicht – und warum genau das wahrscheinlich auch so gewollt ist.
Wie auch immer: Vieles, was in den letzten Jahren zumThema Storytelling anzumerken und zu reflektieren war, ist an dieser Stelle behandelt worden und weiter nachzulesen. Die Storytelling-Mühle in Werbung und PR mahlt weiter und es lohnt sich nicht, sich mit ihr im Kreis zu drehen. Andere Themen, wie ich sie in meinem neue Buch behandle, sind mir wichtiger geworden und daher gibt es hier einen Neu.Start.