Storytelling ist ein durch und durch paradoxes Phänomen. Wie Jérôme Bruner (der sich so intensiv und kreativ wie kaum ein anderer Psychologe mit dem Phänomen des Erzählens im Alltag auseinandergesetzt hat) so treffend feststellt, ist Storytelling etwas, das wir alle ständig tun – während gleichzeitig die allerwenigsten eine Vorstellung davon haben, was sie da eigentlich tun, wie sie es tun und wie die Geschichten „funktionieren“, mit denen sie so selbstverständlich umgehen.

Diese Asymmetrie zwischen Anwendung und Hintergrundwissen hat über Jahrtausende eigentlich niemanden gestört (außer ein paar Philosophen und Philologen) und vor allem niemanden daran gehindert, zu erzählen, Erzählungen hingebungsvoll zu lauschen und Geschichten zu genießen.

Das änderte sich schrittweise mit der Professionalisierung des Erzählens (angefangen bei den Angestellten der religiösen Institutionen mit ihren Hermeneutiken, im Zuge der Erfindung des Schriftstellerberufs im späten 18. Jahrhundert mit den Poetiken und schließlich durch die Filmindustrie mit der Genese des script writers als Lernberuf) bis in unsere Tage, wo „Storytelling“ in einem bisher unbekannten Ausmaß marktfähig geworden ist und jeder, in dessen Jobprofil „communication skills“ auftauchen (könnten) in die Verlegenheit geraten kann, seine Befähigung zum „Storyteller“ verargumentieren zu müssen.

Mit dem Storytelling-Trend erschallt auch der Ruf nach „Tools“

Wie immer in solchen Situationen wuchs und wächst da schnell der Ruf der Neophyten nach knackigen „Tools“, um die neuen Anforderungen ohne allzu großen Aufwand bedienen zu können. Entsprechende Angebote ließen da naturgemäß nicht lange auf sich warten und rasch schälten sich einige Favoriten an „Erzähl-Anleitungen“ heraus, die wohl nicht ganz zufällig vor allem inspiriert sind durch die – zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verkürzten – Einsichten von Drehbuch-Spezialisten aus dem Umfeld Hollywoods (und ich wiederhole mich da gerne: Vogler und McKee haben durchaus Interessantes und Nützliches zum Thema Storytelling zu sagen, sie beziehen sich aber teilweise sogar ausdrücklich auf bestimmte mediale Formen und Muster und eben nicht auf die Möglichkeiten des Erzählens insgesamt).

"Wider das Strickmuster-Storytelling!" weiterlesen

Wann immer im Zusammenhang mit einem bestimmten Diskurs Personen zu „Päpsten“ ernannt und Werke zu „Bibeln“ ausgerufen werden, sollte man besonders wachsam werden. Das Problem dabei sind meist noch nicht einmal die derart beweihräucherten Personen und Werke selbst, sondern die Herde der Gläubigen, die sich hinter ihnen scharen: Leute, die sich nach Autorität sehnen, nach Teilhabe am „Richtigen“ und unwillig oder unfähig sind, selbst zu denken (oder einfach behaupten, sie hätten keine Zeit dazu).

Wenn es um Storytelling geht, haben sich die Schäfchen Robert McKee als Oberhirten ausgeguckt, der als „Drehbuch-Papst“ tituliert und dessen Buch mit dem ebenso schlichten wie genialen Titel „Story“ als „Screenwriters Bible“ bezeichnet wird.

Verfolgt man, was so alles zum Thema Storytelling geäußert wird, trifft man wiederholt und nahezu unvermeidlich auf Gedankengut (und Ideologeme) von McKee. Auch wenn der Name bzw. die Quelle nicht erwähnt wird – was ja immer mehr in Mode zu kommen scheint – schimmert in vielen Beiträgen immer mal wieder die mehr oder weniger gut verdaute „Story“-Lektüre durch, etwa in Sätzen wie: „Jede gut erzählte Geschichte – ob Mafia-Epos oder 30-Sekunden-Spot – kommuniziert EINE Botschaft.“ oder „Die besten Serien der Welt lassen sich in einen einzigen Satz komprimieren.“ (gefunden in einer Marketing-Kolumne).

Tja, da fragt man sich dann schon, warum sich die guten Autoren denn so viel Mühe machen und ganze Romane oder stapelweise Drehbücher verfassen, anstatt einfach ihren Satz abzulassen – und gut is‘.

"If I had a hammer…: „Story“ von Robert McKee" weiterlesen

Mit dem Storytelling-Boom in Werbung und PR wächst nun auch langsam die Kritik an der derzeitigen Praxis. Dass vieles, was als „Storytelling“ daherkommt, wenig mit gekonntem Erzählen „echter“ Geschichten zu tun hat, wird nun zuweilen beklagt (und diese Klagen werden erst einmal zunehmen). Von der „Sprachlosigkeit der Storyteller“ schrieb Frank Behrendt kürzlich in einer Kolumne….„Die Zukunft des Storytellings – ein kurzer Ausblick“ weiterlesen

Ein Ausflug auf das Feld der Rhetorik muss im Storytelling-Blog nicht nur erlaubt sein sondern ist sogar geboten: Kommt es doch auch beim Erzählen darauf an, jedes Wort wohl zu wägen.

Angela Merkel tut dies in der Regel wie kaum ein zweiter Politprofi. Sie hat den scheinbaren Verzicht auf rhetorische Kniffe zum Hauptinstrument ihrer politischen Redekunst erhoben und spricht somit auf den ersten Blick einfach, schnörkellos und verständlich, was neben dem Nimbus ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung entscheidend zu dem Vorurteil beiträgt, sie denke und agiere mit gesundem Menschenverstand und gereinigt von unwägbarer Emotionalität. Somit ist auch nicht zu vermuten, dass die Kanzlerin sich hat hinreißen lassen, als sie laut SZ bei einer Wahlkampfrede in Hessen sagte:

„Leute, die wissen müssen, wann sie Fleisch essen dürfen und wann nicht, die brauchen nicht CDU zu wählen.“

Zunächst einmal gilt es, die feinen sprachlichen Unterschiede zu beachten: Merkel hat nicht etwa gesagt: „Leute, die sich vorschreiben lassen…“ und auch nicht „verbieten lassen…“. Ihr geht es vielmehr um die semantische Opposition von /Bewusstheit/ und /Intuition/. Wer zu den Auserwählten gehört, die ihr und der CDU als Wähler erwünscht sind, braucht kein explizites Wissen – sei es über Gebote, Regeln oder Vernunftgründe – im Hinblick auf den Fleischkonsum: Die „richtigen“ Leute handeln instinktiv richtig, sie handeln sinniger Weise „aus dem Bauch (!) heraus“.

Was aber sind die anderen eigentlich für „Leute“? Menschen, die nach Maßgabe der von der Rednerin eingeführten Unterscheidung nicht aus dem Bauch entscheiden können, was sie (essen) dürfen, sondern sich auf die Kenntnis eines moralischen Regelwerks beziehen müssen, eine verfasste, normative Ethik „brauchen“, wie sie traditionell und exemplarisch von den monotheistischen Religionen zur Verfügung gestellt werden? Speisevorschriften etwa, wie sie neben Judentum und Islam, auch das Christentum tradiert, und die zumal den Katholiken einen identitätsstiftenden Regelkatalog liefert, den die religiösen Institutionen lehren und den die Gläubigen kennen müssen, damit sie „wissen, was sie dürfen“ oder sollen. Logischer Weise sind es auch und gerade solche Bürger, solche Wähler, die – nimmt man Merkels Worte ernst (und wer täte das nicht) – nun nicht mehr zur Zielgruppe der neuen, der merkelschen CDU gehören und auf die sie gerne verzichtet!

"Reaktion auf den Veggie-Day: Merkel ändert die CDU-Story und beantwortet implizit die Gretchenfrage." weiterlesen

Vor kurzem machte mich Hans Hütt auf einen Blogbeitrag von Jakob Jochmann aufmerksam: Jochmann, der offenkundig ein tieferes Verständnis von Storytelling hat, macht als Kommunikationsberater in den USA die gleiche Erfahrung, die ich auch hierzulande immer wieder machen muss:

„Reading up on communication strategies there is no escaping the word storytelling. Storytelling seems to be a miracle cure for all purposes. I disagree. Storytelling is a powerful tool when applied judiciously, and it just so happens that it is all the more compelling when it is being genuine. But it does not work equally well in all contexts. More importantly, the word storytelling is often being thrown around even when there is an abject failure of telling a story. Dropping pop culture references to famous stories does not magically transform a list of things to do into a story.“

Dass die oben geschilderte Storytelling-Euphorie nun auch in unseren Gefilden alle möglichen Kommunikationsbereiche erfasst hat, habe ich ja in mehreren Beiträgen hier schon aufgezeigt. Es ist ja immer kein gutes Zeichen, wenn die Verkäufer von irgendwas – hier eben von „erfolgreicher Kommunikation“ (was leider in den meisten Fällen nichts anderes meint als Mind-Fucking-Propaganda; kurz MFP) – nach einer Wunderwaffe suchen oder behaupten, eine zu haben. Und Jochmann hat recht: allzu oft haben die selbsternannten Storytelling-Strategen dann noch nicht einmal das Wesentliche: nämlich eine Geschichte zu erzählen!

Storytelling und die Tool-Ritter

Die Umkehrung der Reihenfolge – „Wir machen Storytelling! – Haben aber noch gar keine Story (und das ist uns auch egal, dann nennen wir unsere beliebige Äußerung einfach so)!“ – ist symptomatisch für das Vorgehen aller Tool-Ritter. Wer einen Hammer hat, für den sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus. Aber man muss es natürlich so sehen: Wer eine Wunderwaffe sucht, der ist mit seinem Latein am Ende. In vielerlei Hinsichten ist die aktuelle Storytelling-Euphorie nichts anderes als das Symptom dafür, dass die Kommunikationsillusion von Marketingstrategen, Kommunikationsabteilungen, PR-Profis und was da noch alles im Persuationsbusinnes sein (Un)Wesen treibt kurz vor dem Zusammenbruch steht.

"Storytelling und die Pygmalion-Kommunikation" weiterlesen

Es ist schon bemerkenswert, wie in unserer Kultur die Hartnäckigkeit, mit der an der Berechenbarkeit des Verhaltens komplexer (sozialer) Systeme geglaubt wird, in dem Maße zunimmt, in dem parallel dazu die (wissenschaftliche) Erkenntnis wächst, dass Unberechenbarkeit ein zentrales Merkmal eben jener komplexen (sozialen) Systeme ist. Big Data ist Ausdruck einer verzweifelten Illusion, der Apotheose des mechanistischen Denkens im digitalen Zeitalter, und mancher ahnt, dass das für den Einzelnen und die Gemeinschaft unangenehme Folgen haben könnte.

Eine interessante Hypothese dazu liefert Evgeny Morozov in seiner Kolumne: Big Data, so seine bedenkenswerte Idee, befreit von der Notwendigkeit, die Dinge, Menschen, Systeme verstehen zu müssen, um ihr Verhalten vorherzusagen. Statt dessen werden Daten zu Anzeichen für Muster, von denen man annimmt, dass sie mit einer relevanten Wahrscheinlichkeit mit bestimmten zukünftigen Handlungen (eine bestimmte Partei wählen, ein bestimmtes Produkt kaufen, einen terroristischen Anschlag planen) verknüpft sind.  Morozov spricht in diesem Zusammenhang vom „Ende des Verstehens“: Die Konstruktion und das Aufspüren von Mustern aus einer Unmenge von Daten befreit die Controller hinter den Kulissen und ihre Auftraggeber in den Zentralen von der lästigen Notwendigkeit, die Frage nach dem „Warum“ zu beantworten – und damit auch von der Last, die Geschichte hinter einer bestimmten Tat oder Handlung zu kennen und zu verstehen.

Big Data konstruiert „Identitäten“ ohne Story

Wenn eine Erzählung immer die Beschreibung eines Geschehens mit impliziten Theorien zur Erklärung des Beschriebenen verknüpft und schließlich ausdrücklich oder unausgesprochen bewertet, so schreitet der Algorithmus, welcher Daten zu Mustern computiert sofort zur Bewertung, indem er „Treffer“ liefert.

"Big Data und die Feinde des Narrativen" weiterlesen

Ein wirklich gelungener, geistreicher und gleichzeitig populär gewordener Fall von (filmisch-digitalem) Storytelling ist dieser Spot von Canal+. Und ein wunderbarer Beweis dafür, dass Reichweite nicht durch Plattheit erkauft werden muss. Den Plot und den „Gag“ versteht jeder; die erzählerischen Mittel sind aus narratologischer Sicht fein (und müssen den Zusehern als solche nicht bewusst sein, um ihre Wirkung zu entfalten) – und obendrein wird noch ein Zusatznutzen für Kenner geschaffen. Und das alles in knapp 40 Sekunden. (Zu finden auf You Tube unter dem Stichwort pub canal+ creation original).

Was ist aus Storytelling-Sicht hier geboten: Zunächst einmal ein actiongeladener Auftakt in James Bond Manier. Einstieg (aber nicht: Anfang der Geschichte) in medias res, und es geht gleich um‘s Ganze, das Leben steht auf dem Spiel. Nach ein paar Sekunden aber ist schon klar, das Ganze ist so ernst nicht gemeint, die Handlung steigert sich ins Absurde, Surreale. Die Spannung wird nun nicht mehr primär dadurch aufrechterhalten, dass man sich fragt, was auf der Ebene der Aktion und der Bedrohung als nächstes passiert, sondern dadurch, dass man wissen möchte: Worauf soll das hinauslaufen?

"Digital Storytelling am Beispiel eines Werbespots von Canal Plus" weiterlesen

Wo von „Storytelling“ die Rede ist, da wird gerne auch von „Dekonstruktion“ gesprochen: Frank Wilhelmy hat in der Diskussion zu seinem hier besprochenen Vortrag bei der Heinrich Böll Stiftung in der Diskussion – übrigens grundsätzlich zu Recht – darauf hingewiesen, dass da, wo Storytelling als Kommunikationstool wichtig ist (oder werden wird), die Beobachtung der Storys der Gegner bzw. Konkurrenten und deren „Dekonstruktion“ ebenfalls an Bedeutung gewinnen wird.

„Dekonstruktion“ – ein Placebo-Begriff

Nun scheint mir allerdings „Dekonstruktion“ einer von jenen Begriffen, die von manchen Rednern gerne als Placebos verwendet werden, welche vornehmlich Konsensangebote jenseits der inhaltlich-argumentativen Ebene des Textes darstellen: Verbrüderungsofferten nach dem Modell „Sie-wissen-schon-was-ich-meine-schließlich-sind-wir-alle-schlaue-Kerlchen-nech!“. Falls man seine Zuhörerschaft richtig eingeschätzt hat, fällt das Publikum mehrheitlich gerne drauf rein. Im Ergebnis entsteht ein Wir-Gefühl zwischen Menschen, die nicht aus-gebildet genug sind, als dass sie sich den eigenen Status als Gebildete gegenseitig nicht immer wieder bestätigen müssten.

"Wer nicht interpretieren kann muss „dekonstruieren“" weiterlesen

In den U.S.A, wo die Storytelling-Diskussion schon etwas länger, schärfer und heftiger tobt als hierzulande, schien es eine zeitlang so, als hätten die Konservativen die Nase vorn. Marty Kaplan attestierte den Demokraten vor drei Jahren, sie seien im Vergleich zu den Republikanern „lausige Storyteller“. Das war damals schon nicht ganz richtig, ist es heute aber noch weniger. Nicht nur Präsident Obama spickt seine Reden mit kleidsamen Anekdoten, die seine Argumente unterstützen, beglaubigen sollen. (Ein fulminantes Beispiel bringt der RhetorikBlog von Hans Hütt, der die Story im Original mitliefert und brillant kommentiert: Und in diesem Fall lohnt es sich auch, die entsprechende Kommentatorendebatte mitzuverfolgen. Unbedingt lesen: A Big Fucking Deal.) In den Stäben der demokratischen u.s.-Regierung wimmelt es heutzutage von Angestellten, die nach passenden Stories fahnden, die sich als Futter für das eignen, was man drüben als „reframing“ bezeichnet.

Allerdings gibt es offenbar unterschiedliche strategische Zugänge von Republikanern und Demokraten zum „Storytelling“ als Mittel der – nehmen wir doch den schönen, bösen Begriff – Propaganda. Sind die Rechten eher Fans der Big Story, die sich aufgrund ihrer ideologischen Petrifiziertheit nicht anders äußern kann als im Restaurationsplot, nutzen die Demokraten offenkundig das Anekdotische, die „kleine Erzählung“, das Erlebnis des einfachen und dann doch wieder herausragenden Individuums als Illustration, Beleg, Induktionsspule im Zusammenhang größerer (und komplexerer) Argumentationen.

"Polit-Storytelling: Geschichten ohne Ende!" weiterlesen

Naturgemäß muss man erst einmal eine solche Geschichte haben. Muss das Gespür dafür haben, dass man eine Story gefunden hat, die es auch verdient, als Geschichte erzählt zu werden. Es dann auch zu tun und erzähltechnisch gut zu tun, ist dann immer noch eine bemerkenswerte Leistung.

Eine Story mit mehreren Ebenen

Marc Brost, Mark Schieritz und Wolfgang Uchatius haben es getan, in der ZEIT Nr. 27 2013. Die Geschichte selbst soll hier nicht nacherzählt werden, es lohnt sich, Inhalte und Art der Darstellung im Original nachzulesen. „Verrechnet!“, so der Beitragstitel, handelt vom Wissenschaftsbetrieb, vom intrikaten Verhältnis von Wissenschaft – in diesem Falle von der Volkswirtschaftslehre –, Politik und Wirklichkeit. „Verrechnet!“ handelt auf der nächsten Ebene von Glaube und Zweifel, von Autoritätsbeweisen und vom Expertentum aus erster, zweiter und dritter Hand und wie das sich als Gott auf tönernen Füßen entpuppt (by the way ein schönes Beispiel für Campbells entsprechende Figurenklasse). 

"„Verrechnet!“ geht voll auf: Ein gelungenes Beispiel journalistischen Storytellings" weiterlesen