Polit-Storytelling: Geschichten ohne Ende!
Kategorien Storytelling und Politkommunikation, Storytelling-DiskursIn den U.S.A, wo die Storytelling-Diskussion schon etwas länger, schärfer und heftiger tobt als hierzulande, schien es eine zeitlang so, als hätten die Konservativen die Nase vorn. Marty Kaplan attestierte den Demokraten vor drei Jahren, sie seien im Vergleich zu den Republikanern „lausige Storyteller“. Das war damals schon nicht ganz richtig, ist es heute aber noch weniger. Nicht nur Präsident Obama spickt seine Reden mit kleidsamen Anekdoten, die seine Argumente unterstützen, beglaubigen sollen. (Ein fulminantes Beispiel bringt der RhetorikBlog von Hans Hütt, der die Story im Original mitliefert und brillant kommentiert: Und in diesem Fall lohnt es sich auch, die entsprechende Kommentatorendebatte mitzuverfolgen. Unbedingt lesen: A Big Fucking Deal.) In den Stäben der demokratischen u.s.-Regierung wimmelt es heutzutage von Angestellten, die nach passenden Stories fahnden, die sich als Futter für das eignen, was man drüben als „reframing“ bezeichnet.
Allerdings gibt es offenbar unterschiedliche strategische Zugänge von Republikanern und Demokraten zum „Storytelling“ als Mittel der – nehmen wir doch den schönen, bösen Begriff – Propaganda. Sind die Rechten eher Fans der Big Story, die sich aufgrund ihrer ideologischen Petrifiziertheit nicht anders äußern kann als im Restaurationsplot, nutzen die Demokraten offenkundig das Anekdotische, die „kleine Erzählung“, das Erlebnis des einfachen und dann doch wieder herausragenden Individuums als Illustration, Beleg, Induktionsspule im Zusammenhang größerer (und komplexerer) Argumentationen.
Die große Gemeinsamkeit: Die Weigerung, etwas Neues zu erzählen!
Was dabei zunächst nicht auffällt, ist die große inhaltliche Gemeinsamkeit zwischen beiden Strategien, wie sie sich derzeit praktisch darstellen: Dass nämlich weder die eine noch die andere Partei in irgendeiner Form bereit respektive in der Lage ist, etwas Neues zu erzählen!
Bei den Republikanern ist diese Unfähigkeit generisch und unvermeidlich: Die konservative Story kann, sofern sie ihre eigene Erzählinstanz nicht abschaffen will, gar nicht anders als von einer Nicht-Veränderung zu erzählen. Ihre „Vision“ ist Re-Vision, ist Wiederherstellung, Bereinigung: Back to the future (genau: wie der Film, und bei allem Vergnügen: Das ist eine zutiefst konservative Story!) ist das wildeste Motto, das sie anzubieten hat.
Für die anderen, die, die in Opposition zum konservativen Modell zu stehen scheinen, würde das Entwerfen einer Big Story bedeuten, erzählen zu müssen, wie es sein wird, wenn es anders sein wird. Aber Obama erzählt keine Big Story – er kokettiert nur mit ihr. Ein Ende der Geschichte, eine Zielordnung, die Benennung und Beschreibung dessen, was sich im Laufe der angebotenen Geschichte tatsächlich geändert haben sollte, wird tunlichst offen gelassen. Wahltaktisch gesehen ist diese Strategie aufgegangen: „Yes, we can!“ ist das Versprechen auf ein durchaus actiongeladenes Narrativ, bei dem sich jeder selbst überlegen kann, was für eine attraktive Transformation als Effekt jenes individuellen wie kollektiven Könnens denn wünschenswerter Weise entstehen sollte. Ein Höchstmaß an evozierter Inklusion wird hier hergestellt – und das geht nur um den Preis des Nicht-zu-Ende-Erzählens der Story. Das parallel dazu mit Hilfe von Anekdoten und individuellen Geschichten kommunziert wurde und wird, ist nur ein scheinbarer Widerspruch, in Wahrheit aber die komplementäre Strategie zu Verweigerung der Big Story: Hier kann sich dann jeder seine anschlussfähige Geschichte herausfischen und im Endeffekt folgern, dass es eben diese, „seine“, passende Geschichte gewesen ist, die von Anfang an gemeint war. Klarer Weise agieren also die Konservativen ihr „Storytelling“ im Entwurf einer Big Story aus, die ihre Wähler als Kollektiv an- und die Rückkehr ins Gelobte Land verspricht, während die Obama-Demokraten mit der Storytelling-Strategie des Anekdotischen der Tatsache Rechnung tragen, dass ihre potenziellen Wähler Kinder der Individualisierung sind.
„I have a dream!“ geht nicht mehr! –!-???
Aber es bleibt dabei: verweigert wird eine übergreifende Erzählung, die ein Ziel und ein Ende hat. Die einen Standpunkt einnimmt. Was Neues werden soll, darf ein Wahlkämper heute offenbar nicht mehr erzählen, sondern allenfalls noch andeutend der Phantasie derer überlassen, die ihn beobachten. Bei den einen, weil das Ziel im Hergebrachten besteht und das Zyklische gefeiert werden muss, bei den anderen, weil jede Zielbestimmung Zustimmung kostet und tausend Gegenentwürfe auf den Plan rufen würde, die die Kräfte zersplittern. Mit anderen Worten: Politiker halten ihre Wähler für unfähig, eine kollektive Vorstellung von einem besseren Leben und damit auch von einer intelligenteren Politik zu entwickeln.
Martin Luther King hat mit seiner „I have a dream“-Rede – lange bevor das Wort im heutigen Sinne gebraucht wurde – „Storytelling“ auf die der Obama-Strategie entgegengesetzte Art betrieben, indem er das Ende der Geschichte beschrieben und damit die ganze Story entworfen hat: So soll die Zielordnung sein, dort wollen wir hin. Es waren andere Umstände, unter denen aus einer Story Geschichte werden konnte. Vielleicht sind aber die Umstände schon längst wieder so, dass man storytellenden Politikern zurufen sollte: Komm schon, erzähl uns eine ganze, eine richtige Geschichte und sag uns vor allem, wie Deine Geschichte ausgehen soll, sonst hören wir Dir nicht mehr zu!