Vor kurzem hielt Frank Wilhelmy, seines Zeichens Gegnerbeobachter in Diensten der Bundes-SPD bei einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema „negativ campaigning“. (Vortrag und Diskussion gibt es als Video. )
Bemerkenswert in unserem Zusammenhang ist vor allem die Passage, in der Wilhelmy nachdrücklich prognostiziert, zukünftige Wahlkampagnen und Wahlkampfstrategien würden maßgeblich durch „Storytelling“ bestimmt sein. In jedem Wahlkampfteam würden Dramaturgen, Regisseure oder ähnliche Erzähl- und Inszenierungsspezialisten zum festen Bestand gehören, während die Profession des Gegnerbeobachters dann obsolet geworden sein wird.
Es ist wohl mehr als Koinzidenz, dass ich kurze Zeit zuvor von Wahlkampfexperten einer anderen Partei mit ähnlicher Verve auf das Thema „Storytelling“ angesprochen worden bin. Genau wie Wilhelmy berichteten sie davon, dass die Begegnung mit u.s.-amerikanischen Wahlkampfexperten sie davon überzeugt habe, dass „Storytelling“ das kommende Ding in der politischen Kommunikation sei – wie schon im Marketing. Und man darf aus guten Gründen vermuten, dass die gleiche Botschaft auch schon bei anderen Parteien auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
Gerade weil mir das Thema „Storytelling“ am Herzen liegt, bin ich mir nicht sicher, ob diese Entwicklung wirklich Anlass zu Freude bietet. Die Gründe dafür sind vielfältig und in einem Beitrag nicht hinreichend abzuhandeln: Deshalb nehme ich den Wilhelmy-Vortrag als Anlass, eine kleine Serie zu starten.
Fangen wir mit dem entscheidenden Punkt an: In all den Zusammenhängen, die ich erlebe und auch in besagten Vortrag, wird der Begriff „Storytelling“ mit großer Selbstverständlichkeit verwendet und rezipiert. Alle Beteiligten nutzen den Begriff so, als sei völlig klar, was damit gemeint ist – auch dann, wenn der Kontext ungewöhnlich und die Verwendung von „Storytelling“ in ihm explizit als „neu“ thematisiert wird.
Bleiben wir beim Beispiel: Wilhelmy hält es nicht für nötig, den Begriff zu präzisieren oder zu definieren. Und das Publikum scheint ihm recht zu geben; niemand signalisiert in der anschließenden Fragerunde Klärungsbedarf. Statt dessen zeigt man sich kenntnisreich, indem man z.B. augenblicklich Synonyme in den Raum wirft und anstelle von „Storytelling“ von der Nutzung von „Narrativen“ spricht.
Wenn man daraus also folgert, dass das Publikum fachkundig ist, wird die Irritation nicht geringer, im Gegenteil: Müsste jetzt nicht gefragt werden, inwiefern die in den Vereinigten Staaten, vornehmlich von den Republikanern, praktizierte Variante des Storytelling überhaupt Vorbild für eine bundesrepublikanische Partei sein kann? Wäre damit das Thema der Varianten und die Tatsache, dass Storytelling eben nicht gleich Storytelling ist, auf dem Tisch? Und warum interessiert das niemanden? Allein das Wort scheint offenbar derzeit so trendy und attraktiv zu sein, dass sich eine Nachfrage erübrigt.
Der selbstverständliche Gebrauch des Begriffs, dessen Semantik bei auch nur kurzem Nachdenken und mittlerem Kenntnisstand als alles andere als klar bezeichnet werden muss, dieser Gebrauch hat meiner Ansicht nach eine ganze Reihe von Gründen, wobei die Reihenfolge der Aufzählung keine hiearchische Ordnung implizieren soll):
Der Begriff wabert in Medien und Diskursen herum, die an und für sich aktuell als attraktiv gelten und seine zunehmende (und selbstverstärkende) Verbreitung gilt vielen bereits als hinreichender Ausweis seiner Relevanz. (Wenn aber etwas von vielen in neuen und „sozialen“ Medien – was für eine irre Tautologie! – als relevant behandelt wird, dann sollte man sich nicht die Blöße geben, es zu hinterfragen).
„Storytelling“ kommt aus den U.S.A. und ist dort schon mehr als ein Trend. Auch das gilt offenkundig als Ausweis der Relevanz und Tauglichkeit.
Im Zusammenhang mit dem Begriff hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit in letzter Zeit einen Artikel eines Neurobiologen oder „Hirnforschers“ gelesen, der auf die ein oder andere Weise aufgezeigt hat, dass man nun nachweisen könne, dass Storytelling „wirkt“. Whow!
Storytelling heißt: Geschichten erzählen. Das ist universell. Das macht jeder. Das kann jeder. Das ist ur-menschlich und volks-tümlich. Das emotionalisert den Intellektuellen ebenso wie den weniger intellktuellen. Das geht in allen Medien. Damit erreicht man jeden. Reichweite!
Themen und Thesen, Argumente, Ereignisse, eigentlich alles, was der Fall ist und politisch relevant sein könnte, erscheint in der medial und sozial fraktalisierten Gesellschaft immer nur noch schlaglichtartig, verschwindet im nächsten Blitzen der Kommunikationen. Kommunikatorische Atopie und Kontigenz lassen Diskurse eigentlich gar nicht mehr entstehen, zumindest nicht in der Breite und bei den Schichten, die es immerhin noch in ihrer Funktion als Lieferanten von Wählerstimmen zu erreichen gilt. In dieser Situation erscheint der Rückgriff auf Dramaturgie und Dramatisierung, die Option, konsistente Diegesen konstruieren zu können, die Möglichkeit, Ereignisse narrato-logisch miteinander verknüpfen zu können, ja: Geschehnissen überhaupt wieder Ereignischarakter zusprechen zu können als unglaubliches Versprechen. Wo die Kontrolle über die Realität verschwindet bzw. sich immer deutlicher als Illusion offenbart, wird die Möglichkeit, die Illusion zu kontrollieren und die Konstruktion einer Erzählung (deren Ende und Unmöglichkeit in der politischen Realität ja vor einigen Jahren erst erfolgreich behauptet und verkündet worden ist) zu einer nicht mehr zurückweisbaren Versuchung. Deutungs-Hoheit zurückzugewinnen, indem man das Feld wechselt und vom Gestalter zum Erzähler wird, scheint ein Ausweg aus einem Dilemma zu sein, das sich den politischen Akteuren (ähnlich wie den Kommunikatoren auf dem Feld der Ökonomie) immer beängstigender darstellte.
Diese Argumente (die sicherlich zu ergänzen wären), die wir hier den politischen Kommunikatoren und ihren interessierten Beobachtern unterstellen (dies aber aus guten Gründen und Erfahrung), sind sicherlich von unterschiedlichem Status. Was ich dabei nicht unterstellen will, ist die Bewusstheit der Elemente, die die Attraktivität des (kernprägnanten, aber weiten und randunscharfen) Phänomens „Storytelling“ ausmachen. Zumindest einige der genannten Gründe beruhen auf Intuitionen, an denen auch auf den zweiten Blick einiges „dran“ ist. Auf die Hintergründe und auf bestimmte Zusammenhänge will ich daher in den kommenden Folgen eingehen.
to be continued